Die schwierige Sache mit der historischen Wahrheit

Mit der Wahrheit ist es bekanntlich eine schwierige Sache. Das gilt im aktuellen postfaktischen Zeitalter, in dem sich gute Teile der Bevölkerung eine Welt aus alternativen Fakten aufbauen (und Parteien bzw. Politiker wählen, die es mit der Wahrheit auch nicht so genau nehmen) – aber das ist durchaus kein neues Phänomen: Scheinwelten gab es auch vor Jahrhunderten, ja Jahrtausenden schon, und uns Nachgeborenen erscheint manche vergangene Welt völlig anders als den in ihr gelebt habenden Menschen. „Wahr-Zeichen“ lautet nun das Motto des 2024er Tages des offenen Denkmals, der alljährlich am zweiten Sonntag im September Hunderttausende Besucher in sonst nicht zugängliche Zeugnisse der Baukultur vergangener Jahrhunderte lockt. Dabei scheint die Sache ganz einfach zu sein: Ein historisches Gebäude legt uns Heutigen Zeugnis von der Geschichte ab, ist praktisch ein Zeitzeuge. Aber ist das Gebäude wirklich authentisch, oder wurde es in späteren Zeiten verändert? Welche seiner Teile besitzen also realen Zeugniswert für welche Epoche? Das sind hochspannende Fragen, die Historiker, Archäologen oder Bauforscher beschäftigen und die für jedes Gebäude, ob es nun unter Denkmalschutz steht oder nicht, individuell beantwortet werden müssen und wo nicht selten jede Antwort sofort zu neuen Fragen führt.

 

Auch die Denkmalpflegebehörden müssen sich mit solchen Fragen tagaus, tagein auseinandersetzen, und sie publizieren ihre Ergebnisse regelmäßig, womit sie historische Wahrheit beanspruchen – zumindest auf dem jeweiligen aktuellen Kenntnisstand. Dass dieser sich im Zuge weiterer Forschungen durchaus ändern kann und so manche liebgewonnene Erkenntnis im Staub der fortschreitenden Erforschungsgeschichte zerbröselt, liegt in der Natur der Sache. „Kunst in Pflege. Exemplarische Erforschung und Restaurierung bedeutender Denkmale in Thüringen 1999–2023“, eine Publikation des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, befasst sich mit solchen Ergebnissen und in einigen Fällen auch deren Wandel, der über die Jahrhunderte hinweg zu stark unterschiedlichen Umgangsformen mit den jeweiligen Gebäuden oder Kunstwerken geführt hat. Die auf 360 reich bebilderten Seiten vorgestellten Objekte reichen vom Cranach-Altar in der Johanniskirche in Neustadt an der Orla über das Epitaph für Christoph von Entzenbergk in der als Johann Sebastian Bachs Traukirche bekannt gewordenen Bartholomäuskirche in Dornheim bis hin zu den Glasmalereien in der Augustinerkirche in Erfurt, einer der wichtigsten Wirkungsstätten Martin Luthers, die gerade in jüngerer Zeit zahlreiche Wandlungen in ihrem Zeugniswert erfahren hat bzw. erfahren musste.

 

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